Heute wird eine wichtige Sache im Bundestag beschlossen: Es geht darum, wie die vermeintlich ganz klare Sache “Geschlecht” zukünftig in unseren Gesetzen geregelt wird. Denn nicht alle Menschen sind eindeutig “männlich” oder “weiblich”. Eigentlich haben auch die meisten Menschen schon mal davon gehört, dass es sowas wie “Zwitter” oder “Hermaphroditen” gibt. Trotzdem sehen die Gesetze nur “Mann” und “Frau” vor. Das soll sich heute ändern und ich möchte einmal aufschreiben, was genau da passiert und warum das für uns als CSD Bremen wichtig ist.
Warum beschließt der Bundestag das heute neu?
Artikel 3 unseres Grundgesetzes sagt: “Niemand darf wegen seines Geschlechtes, […] benachteiligt oder bevorzugt werden.” Der Begriff “Geschlecht” wird aber in allen Gesetzen als “Mann” oder “Frau” ausgelegt. Dabei ist es wissenschaftlich bewiesen, dass es Menschen gibt, die körperliche Merkmale von beiden Geschlechtern haben. Wir sprechen dabei von Intersexualität.
Wenn “Geschlecht” aber mehr als Mann und Frau ist und niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf, dann ist die aktuelle Gesetzeslage verfassungsfeindlich. Deshalb hat sich schon im Jahr 2013 die Initiative “Dritte Option” gebildet.
Die Initiative ging den Rechtsweg: Vanja hat einen Antrag auf Änderung des Geschlechts gestellt, der natürlich vom Amt abgelehnt wurde. Auf dem Weg durch alle Instanzen stand Vanja schließlich mit der Initiative zusammen vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Oktober 2017 kam das lang erwartete Urteil vom Bundesverfassungsgericht: Die aktuelle Gesetzeslage ist wirklich verfassungsfeindlich und der Gesetzgeber muss die Gesetze ändern (hier mehr zum Urteil)
Hier mehr zu den rechtlichen Hintergründen von der Initiative Dritte Option.
Das Urteil vom Bundesverfassungsgericht ändert erstmal nichts an der Rechtslage. Es bedeutet aber, dass der Gesetzgeber neue Gesetze im Sinne des Urteils schaffen muss. Darum geht es heute.
Das Problem
Das Bundesverfassungsgericht gibt nur Richtlinien vor, damit die Gesetze verfassungskonform werden. Damit das Thema “Geschlecht” im Sinne des Artikel 3 unseres Grundgesetzes umgesetzt wird, gibt es eigentlich zwei Möglichkeiten:
- “Geschlecht” als solches wird einfach gar nicht mehr benutzt und auch nirgends von Behörden gespeichert.
- Wenn ein “Geschlecht” erfasst und benutzt wird, muss es eine Möglichkeit für die “Dritte Option” geben.
Das Problem ist nun, dass es im Detail ganz schön viel zu entscheiden gibt. Dass jeder Mensch ein “Geschlecht” hat, ist fest in den meisten Köpfen verankert. Die Vorstellung, es einfach abzuschaffen und sich nicht mehr offiziell als Mann oder Frau ausweisen zu können, klingt für viele Menschen unvorstellbar. Auch für Dinge wie eine Geschlechterquote muss eindeutig geregelt sein, wer welches Geschlecht hat. Ich habe deshalb nicht erwartet, dass das Geschlecht in den Gesetzen einfach abgeschafft wird.
Wenn aber für jeden Menschen ein Geschlecht gespeichert wird, stellen sich zwei große Fragen:
- wie heißt die Dritte Option neben Mann und Frau?
- wie kann man die Angabe ändern, wenn man bei Geburt falsch einsortiert wurde?
Im zu beschließenden Entwurf (PDF) ist die Rede von “diverses Geschlecht”, was von der Initiative Dritte Option begrüßt wird.
Der Gesetzesentwurf sieht aber auch vor, dass ein medizinisches Attest notwendig ist, um einen Antrag auf die dritte Option zu stellen. So ein Attest ist schlicht sinnlos. Warum? Dafür muss ich einmal etwas ausholen, aber es lohnt sich:
Biologisches vs. soziales Geschlecht
Genau genommen ist das mit dem Geschlecht gar nicht so eindeutig. Doch seit jeher ist es in unserer Gesellschaft außerordentlich wichtig zu wissen, wer welche Geschlechtsteile in der Hose hat. Welche Umkleidekabine du beim Schulsport benutzen darfst? Welche Kleidung angemessen für dich ist? Ob du beim Walzer führst oder geführt wirst? All das und noch viel mehr wird an den Geschlechtsteilen in der Hose festgemacht. Dabei muss das gar nicht sein.
Dass wir als Gesellschaft an den Geschlechtsteilen eines Menschen bzw. an der Einteilung in “Frau” und “Mann” so viel entscheiden, ist eine menschliche Sache. Naturwissenschaftlich gesehen muss es nicht sein, dass Menschen nach Geschlechsteilen in die Umkleidekabinen einsortiert werden.
Wenn man erstmal an diesem Punkt ist und erkennt, dass die meisten gesellschaftlichen Fragen nicht durch die Geschlechtsteile in der Hose beantwortet werden müssen, kommen einem viele Sachen sehr komisch vor. Warum z. B. werden Kinder häufig entsprechend ihrer Geschlechtsteile farblich passend eingekleidet?
Es gibt also einen riesigen Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht (was lässt sich objektiv am Körper feststellen) und dem sozialen Geschlecht (wie wird der Mensch wahrgenommen/bezeichnet).
Apropos: Mehr zu diesen Fragen forschen die Gender Studies. Das soziale Geschlecht heißt im Englischen nämlich „Gender„.
Warum ein Attest sinnlos ist
Es macht also einen Unterschied, ob wir vom biologischen oder sozialen Geschlecht sprechen. Nun stellt sich die Frage: Welches Geschlecht ist bei der Gesetzesänderung eigentlich gemeint? Nun, so schlimm das bestehende Transsexuellengesetz auch ist: Bereits jetzt kann das “offizielle” Geschlecht bei Behörden geändert werden, ohne, dass eine geschlechtsangleichende OP erfolgt. Daraus folgt, dass der aktuelle Geschlechtseintrag das soziale Geschlecht meint.
Im nächsten Schritt folgt daraus auch, dass kein medizinisches Attest notwendig sein darf, um das eigene Geschlecht offiziell zu ändern. Denn wer soll schon bestimmen, welches soziale Geschlecht für einen Menschen richtig ist? Das kann nur der einzelne Mensch selbst. Dinge wie Gutachten oder Atteste sind nur unnötige Barrieren, die dem selbstbestimmten Leben eines Menschen im Weg stehen.
Weil man es nicht oft genug sagen kann: Das Transsexuellengesetz muss grundlegend reformiert werden. Mehr dazu z. B. im Artikel Das Transsexuellengesetz – Leid oder Segen? von legal-gender-studies.de.
Ich weiß selber am besten, wer ich bin. Warum sollte ich, nach dem die Medizin mir gesagt hat, dass ich falsch bin und angepasst werden muss, jetzt ausgerechnet zu Ärzt*innen gehen, um als Inter* anerkannt zu sein?
Vanja
Vertane Chancen
Am Ende des Tages bleibt eine Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung zurück. Schön, dass der deutsche Rechtsstaat soweit funktioniert, dass zumindest etwas getan wird. Schade, dass die aktuelle Bundesregierung die Chance für mehr Verbesserungen nicht nutzt.
Geschlechtliche Vielfalt im CSD Bremen
Der CSD Bremen e. V. setzt sich besonders für die geschlechtliche Vielfalt ein. So haben wir beim CSD Bremen 2017 und 2018 jeweils einen Soli-Wagen für die geschlechtliche Vielfalt organisiert. Dadurch konnten Trans*Menschen und inter*sexuelle Menschen ohne Kosten für ihre Rechte demonstrieren. Mittlerweile haben wir ein eigenes Team Trans*-Inter*-Genderqueer* (TIQ*), das sich für diese Themen einsetzt und z. B. ein Gedenken an die Opfer trans*feindlicher Gewalt veranstaltet hat.
Wenn du auch Interesse daran hast, dich im CSD Bremen für die geschlechtliche Vielfalt einzusetzen, melde dich gerne per E-Mail an info@csd-bremen.org.